Spurensuche 13.11.2017
Weil es sagbar ist
"Und er trieb einen Dämon aus, der stumm war."
(Lukasevangelium 11, 14a)
Der Monat November ist geprägt von vielen Gedenktagen, die die Verletzlichkeit und die Verbrechen an der Menschlichkeit zum Thema haben. Die Gedenktage haben zum Ziel, den Toten und den Überlebenden von Gewalt die Würde zurückzugeben, die ihnen geraubt wurde. Damit sie wieder zu einer Person, zu einem Individuum, zu einem menschlichen Subjekt werden, so wie sie es einmal waren, so wie sie von Gott gemeint sind. Die Gedenktage rufen dazu auf, das Unsagbare zu erzählen, die Verbrechen zu benennen, das Labyrinth des Schweigens zu durchbrechen gegen alle Kritik und Dämonisierung durch die Täter. "Wenn Opfer von Gewalt das, was ihnen widerfahren war, nicht erzählen könnten, würden Diktatoren und Folterer obsiegen" (Carolin Emcke). Die Opfer blieben für immer damit allein. Das Leid der anderen zu bezeugen kommt einer "Re-Humanisierung" gleich. Was das heißen kann, beschreibt die russische Dichterin Anna Achmatowa 1957 anhand einer kurzen Szene, die sie selbst erlebt hat:
"In den schrecklichen Jahres des Justizterrors unter Jeshow habe ich siebzehn Monate mit Schlangenstehen in den Gefängnissen von Leningrad verbracht. Auf irgendeine Weise "erkannte" mich einmal jemand. Da erwachte die hinter mir stehende Frau mit blauen Lippen, die meinen Namen natürlich niemals gehört hatte, aus jener Erstarrung, die uns allen eigen war, und flüsterte mir ins Ohr die Frage (dort sprachen alle im Flüsterton):
'Und sie können dies beschreiben?'
Und ich sagte:
'Ja'.
Da glitt etwas wie ein Lächeln über das, was einmal ihr Gesicht gewesen war." *
(*aus: Carolin Emcke, Weil es sagbar ist, Fischer Verlag 2013)
Impulse
- Zuhören und erzählen, den Mantel des Schweigens aufdecken – (wo) ist mir dies möglich?
- Vorschlag für ein tägliches Gebet in dieser Woche im Evangelischen Gesangbuch Nr 826 o.a.
- Literaturtipp: Carolin Emcke, weil es sagbar ist, Fischer Verlag 2013
Diese Spur wurde Ihnen gelegt von Ulrike Hofmann
Eine gesegnete Woche wünschen Ihnen Ihre Spurenleger
Nikola Beth, Hans-Jörg Fritz-Knötzele, Ulrike Hofmann,
Dr. Christoph Klock, Heinz Lenhart, Elisabeth Prügger-Schnizer, Eva Reuter, Heiko Ruff-Kapraun und Dr. Hans Jürgen Steubing
Kirche & Co. – ein Laden der Kirchen für die Menschen in der Stadt
(Kirche in der City von Darmstadt e.V.) Rheinstraße 31, 64283 Darmstadt
Bild: Ulrike Hofmann
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